Satzzeichen oder Schreiben ohne Punkt und Komma
Satzzeichen in weiter Ferne
schreibenohnepunktundkommajasogarohnelückenzwischendenwörtern – in antiken Papyrusrollen finden sich Hunderte solcher Zeilen, die Wörter lückenlos aneinanderhängen. Auch Else Lasker-Schüler webt ihrem bekannten Liebesgedicht „Ein alter Tibetteppich“ den Wortfaden „Maschentausendabertausendweit“ ein, der zumindest eine ganze Verszeile füllt.
Das Lesen ist erschwert, aber wir kennen die Sprache und können somit den Faden aufdröseln. Fast scheint es so, als ob die Dichterin zum Ursprung der Schrift zurückkehrten wollte, indem sie diese Form wählte. Denn die frühesten Texte wurden ohne Satzzeichen und Wortabstand aufgeschrieben. Man kannte die heute gebräuchlichen Zeichen noch gar nicht. Und es dauerte noch bis ins 14. Jahrhundert, bis Jacobus Apoleius de Urbisaglia das Ausrufungs- oder Verwunderungszeichen in Italien erfand.
Die Verschriftlichung setzt ein
Der kulturelle Umschwung von Rede zur Schrift [1] erreichte mit der Vervollständigung des griechischen Alphabets im 7. Jahrhundert vor der Zeitenwende einen Höhepunkt. Alles, was gesprochen wurde, konnte mit den flexiblen Schriftzeichen lautlich erfasst werden: Die Sprache wurde in der Schrift sichtbar. Das Gesagte konnte vor allem auf diese Weise festgehalten werden.
Teils enthielten die Aufzeichnungen Markierungen, die daran erinnerten, bei einem Vortrag Pausen einzulegen oder Passagen hervorzuheben. Die Anmerkungen stellten die Tonalität und Rhetorik in den Vordergrund. Noch hatten das laute (Vor-)Lesen und der Vortrag ihren Stellenwert. Und doch – veränderte sich das Schriftbild und fügte in die ursprünglich abstandslosen Wortreihen Lücken ein. Dieser Vorstoß geht vermutlich auf irische Mönche zurück, die ohne ausreichende Lateinkenntnisse die Wortgrenzen sehen mussten, um die Wörter zu erkennen und sie folglich richtig zu lesen.
Das Mittelalter als Übergangszeit zum stillen Lesen
In den Klöstern trafen die Mönche zur Einzellektüre in großen gemeinsamen Lesesälen zusammen. Das stille Lesen breitete sich ebenso jenseits der Klostermauern aus. Handliche Stundenbücher zur Andacht fanden ihre privaten Abnehmer in Adel und Bürgerschaft. Wissenschaft und Philosophie gewannen in der Renaissance und im Humanismus hohe Bedeutung. Schriften, Streitschriften, Kommentare blieben im Austausch der Wissenschaftler und Philosophen nicht aus. Die Fülle an Texten, durch den aufkommenden Buchdruck enorm gesteigert, wurde in Registern erfasst, Indices angelegt.
Die ersten Satzzeichen tauchen auf
Die in den Texten angebrachten Markierungen waren noch auf die Rhetorik der mündlichen Rede ausgerichtet. Auch bei einer stillen Lektüre hören wir mit dem inneren Ohr. Allerdings zeigte das weiter oben erwähnte Ausrufungs- und Verwunderungszeichen, dessen Geschichte Florence Hazrat [Partner-Link zu Amazon, s. Datenschutz] erzählt, dass es andere Maßnahmen brauchte, um schriftliche Texte richtig zu verstehen. Denn wie wäre sonst ohne entsprechendes Satzzeichen eine Frage oder ein bewundernder Ausruf, eine Warnung oder ein Verbot zu erkennen.
Es dauerte knapp 200 Jahre, bis die Erfindung aus Italien in Deutschland zu entdecken war: wohl als erstes Ausrufezeichen in Johann Fischarts Ehezuchtbüchlein „Flöhatz“. [2] Klammern und Fragezeichen hatten dagegen schon früher ihren Auftritt. Die Sprachforschung geht davon aus, dass letzteres sich aus Notationen der gregorianischen Kirchenmusik entwickelte.
Die syntaktische Ausrichtung oder Satzzeichen als Tonzeichen
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ausgeformt (dabei zum großen Teil für heute noch gültig), gerät die Zeichensetzung zunehmend unter den Einfluss der Grammatik und richtet sich syntaktisch aus. Die Schrift dominiert mit Satzbau, Grammatik und Orthografie. Die Zeichen sollen im logisch-hierarchischen Satzbau sofort einen Überblick geben und zur richtigen Deutung des Gelesenen anleiten. Die rhetorische auf Intonation und Rhythmus der Sprache „horchende“ Seite ist zurückgedrängt. Dabei sah Konrad Duden selbst die Satzzeichen als Tonzeichen:
Wie die Buchstaben die Lautverhältnisse der einzelnen Wörter, so bezeichnen sie Satzzeichen die Tonverhältnisse der Sätze: sie geben an, an welcher Stelle der gesprochenen Rede man eine grössere oder kleinere Pause macht, und zugleich, ob man beim Eintritt dieser Pause den Ton in der Schwebe zu halten, ob man ihn mehr oder minder zu heben, ob man ihn mehr oder minder zu senken hat.
Konrad Duden [3]
Setzen Sie die Worte von Konrad Duden gleich in die Tat um und nutzen Sie den Schreibimpuls für ein Gedicht mit „Tonzeichen“.
Quellen:
[1] vgl. zum Folgenden: Holschuh, Albrecht: Schrift-Oralität: Zur Geschichte von Vers, Zeile und Gedicht. In: The German Quarterly, 71(3), 1998, S. 209-227. https://doi.org/10.2307/407701 [Letzter Aufruf 09.05.2024]
[2] vgl. zum Folgenden: Handbuch Zeichensetzung. Der praktische Ratgeber zu Komma, Punkt und anderen Satzzeichen. 2., aktualisierte und überarbeitete Auflage. Berlin: Duden Verlag 2014
[3] Konrad Duden zitiert aus: Holschuh, Albrecht (2002). Poetische Zeichensetzung. The German Quarterly, 75(1), 51–70. https://doi.org/10.2307/3072683 [Letzter Aufruf 09.05.2024]