Lyrik-Baustein 3: Mit rhetorischen Figuren die Aussage verdichten

Kategorien: Lyrisches Handwerk,Themen der Lyrik — Tags: — Michaela Didyk

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Der Lyrik-Baustein, der die Wirkung zwischen (den) Zeilen betont

Gedichte wollen aus der Schublade „hinaus in die Welt“. Das liegt in der Natur der Sprache als Kommunikationsmittel. Sie meinen, Sie schreiben für sich selbst? Irrtum, Ihre Texte zielen bereits auf ein Publikum. Für diesen Brückenschlag zur Leserschaft bieten sich die sprachlichen Stilmittel oder Figuren an. Der dritte Lyrik-Baustein sorgt daher für die Klarheit und Ausrichtung Ihrer Aussage.

Oft nutzen Sie Stilmittel schon intuitiv. Mit ihnen strukturieren Sie Ihre Verszeilen, die –  im Satzbau poetisch gelockert – nach einer Neuordnung verlangen. Gleichzeitig dient Ihnen das seit der Antike entwickelte Instrumentarium, Ihre Leser/innen zu lenken, wie sie Ihr Gedicht deuten sollten.

Mit Stilmitteln Schwerpunkte setzen

Zu den rhetorischen Figuren zählen alle mehr oder weniger beabsichtigten Sprachgestaltungen, die ein Textelement hervorheben und in der Wirkung betonen. Sie gliedern das Sprachmaterial meist durch Wiederholung und Gegensatz. Auf diese Weise zieht sich ein roter Faden durch das Gedicht, der den Sinnaufbau leitet. Oft überlagern sich sogar mehrere Figuren, sodass sich die Aussage an solchen Knotenpunkten intensiviert und Leserinnen und Zuhörer in den Text „zieht“.

Kein Räderspiel /
kein Wagenprellen /
kein Seiltanz mehr /
[…] [1]

Kurt Küther, 1929 – 2012

  • Am Beispiel verdeutlicht

Dreimal wiederholt Kurt Küther das Anfangswort (Anapher). Zeile für Zeile hängt er in gleicher Bauweise ein anderes Substantiv an (Parallelismus). Die losen Satzfetzen – optisch schon auffallend – kommen schnell zueinander in Bezug.

Die drei Zeilen steigern sich sogar in der Abfolge (Klimax). Der Dichter spitzt die Strophe auf das Wörtchen „mehr“ zu, das aus allem Gleichlauf herausfällt. Es verschwindet fast im massiven Block oder soll sich vielleicht – so einzeln gesetzt – gerade behaupten.

Im Gegensatz zum vorgeführten Stillstand, so kann man deuten, gab es früher wohl eine Bewegung („kein … mehr“). Der Verlust löst in der mehrfachen Wiederholung und Figuren-Kombination auch eine Emotion aus.

Doch geht es nur um Rückschau? Oder steckt im Strophenschluss „mehr“ noch eine zweite Botschaft? Dass es nämlich mehr gab. Etwas, das nicht gleichgeschaltet war. Eine Quantität, die auch zur Qualität werden kann, schwingt mit. Die Strophe bleibt nicht bei der Erinnerung, sondern öffnet den Blick für Alternativen, die beim Lesen nachdenklich machen.

Die Vielfalt rhetorischer Figuren

Rhetorische Stilmittel begegnen Ihnen auch im Alltag: Die Werbung nutzt sie, Politiker verwenden sie in ihren Reden. Sobald ein Ziel kraft Überzeugung erreicht werden soll, sind Figuren im Einsatz. Die Lyrik holt allerdings weiter aus.

Denn Stilmittel helfen Ihnen, mit wenigen Worten komplexe Zusammenhänge herzustellen. Sie inszenieren Ihren Text, damit sich die spezifische Aussage aus vielerlei Deutungsmöglichkeiten herauskristallisiert. Indem Sie Wörter und Satzteile wiederholen, tasten Sie sich in unbekanntes „Sprachland“ vor. Auf diese Weise ändern Sie gebräuchliche Wortbedeutungen, erfinden Sinnzusammenhänge.

Wenn Sie also wiederholen oder variieren, auf Gegensätze zurückgreifen, geben Sie Ihren Leser/innen Anhaltspunkte. Sie markieren eine Spur, auf der man Ihrem Text folgen und ihn verstehen kann.

  • Die rhetorischen Stilmittel in vier Gruppen gegliedert

Auf welchen Gestaltungsebenen Sie Ihr rhetorisches Werkzeug einsetzen können, zeigt Ihnen ein Überblick über die vier grundlegenden Figurengruppen: [2] Weiterführende Links zu Stilmittel-Sammlungen finden Sie am Schluss des Beitrags.

  • Wortfiguren stärken oder schwächen ein Wort in seiner Wichtigkeit für die Aussage: Nachdruck (Emphase) oder Untertreibung (Litotes)
  • Satzfiguren regeln die Position von Wort und Satzglied, halten unterschiedliche Wortverbindungsarten bereit, häufen Wörter oder sparen sie ein: Stilmittel sind die Unverbundenheit (Asyndeton) und Vielverbundenheit (Polysyndeton), die Auslassung (Ellipse), Stufenfolge (Klimax), der Gleichlauf (Parallelismus) und  die Überkreuzstellung (Chiasmus), schließlich die Umkehrung der üblichen Satzstellung (Inversion)
  • Gedankenfiguren bestimmen die Satzform, aber auch wie Sie Ihre Kernbotschaft – direkt oder verschleiernd – aufbauen: Rhetorische Frage und Gegensatz (Antithese) stehen Ihnen zur Verfügung.
  • Klangfiguren bauen auf Wiederholung. Durch Gleichlaut oder Doppelung kurzer Spracheinheiten können Sie die Versmelodie modulieren: Die Wiederholungen von Wort- und Satzteilen finden Sie am Anfang beziehungsweise Ende der Verszeilen (Anapher und Epipher), der Anlautreim (Alliteration) kann einzelne Passagen oder das gesamte Gedicht durchziehen.

Durch den Einsatz der Stilmittel Leser/innen beeinflussen

Anapher, Parallelismus und Klimax haben Sie bereits in Kurt Küthers Strophe kennengelernt. Sie können dort mit der losen Reihe der Kurzzeilen noch die Figur der Unverbundenheit hinzufügen, sowie die Ellipse, die auf alles Unwichtige im Satz verzichtet. Die Tote Zeche, die der Autor laut Gedichttitel darstellt, ist klar umrissen. Der reduzierte Satzbau passt zur Stilllegung. Beide Stilmittel beschleunigen zudem den Sprachfluss und verstärken die emotionale Wirkung.

und weiß und Schnee und mitten im Sommer /
Papptellers Spuren und Wischtuch Kufen und Tassenrand /
[…] /
…….auf weißem /
Tuch, und ach wie die Augen baden im salzigen Quell, usw. [3]

Friederike Mayröcker, *1924

Insgesamt elfmal das „und“ (Vielverbundenheit) setzt Friederike Mayröcker in ihrem Gedicht. Sie lässt die Leser/innen am Assoziationsstrom teilhaben, der – ausgelöst durch einen Pappteller – einen Augenblick reflektiert.

In der und-Verkettung unterschiedlicher wie auch gegensätzlicher Dinge entsteht eine Botschaft, die von subjektivem Empfinden getragen wird. Ihre Ausrichtung scheint sich in der Fülle der Gedanken immer wieder zu verlieren. Doch diese, durch die Figur angelegte, Offenheit lädt gerade bei der Lektüre ein, eigene Erfahrungen mit einem weiteren „und“ anzuschließen.

„ach wie die Augen“ setzt emphatisch einen Ausruf. Aber auch dieser Gefühlsausdruck relativiert sich, vor allem durch das banalisierend angefügte „usw.“ am Gedichtende.

  • Der Lyrik-Baustein, der Ihrem Gedicht zu wirkungsvoller Struktur verhilft

Wollen Sie Ihre Leser/innen in Stimmung versetzen, einen Dialog anregen? Möchten Sie schockieren? Soll Humor zum Ziel führen? Ob Sie Ihr literarisches Gegenüber subtil beeinflussen oder – mit Fragen beispielsweise – direkt ansprechen, – ein reicher Fundus an Figuren wartet auf Sie, um die Wirkung Ihrer Aussage zu steuern:

Zikade zuwenig? Zikade zuviel? /
Wer zählt die Stimmen /
………………………………….unterm Basalt /
im Geröll in den Sümpfen /
in den Savannen die Stimmen /

[…] [4]

Hans Magnus Enzensberger, *1929

Anapher und Klimax, die gerne mit Parallelismus einhergehen, gehören zu den meistverwendeten Figuren. Die  Satzanfänge können sich dabei ebenso innerhalb einer Zeile wiederholen.

Auf zweifach „Zikade“ folgt allerdings ein Gegensatz („zuwenig … zuviel“), der in dieser Verdichtung zu einer Stellungnahme auffordert. Ob das in der fest verfugten Ausgangslage gelingt? Denn Enzensberger verschmilzt die Doppelfrage mit dem  Anlaut Z zu einer Klangeinheit, die sich über die Anfangszeile hinaus fortsetzt und mit S/St variiert (Alliteration): Die Zikaden sind deutlich zu hören.

Um „Stimmen“ geht es auch am gleich endenden Versschluss (Epipher). In der Wiederholung verändert sich die Stellung im Satz (Inversion) und zieht eine leichte Überkreuzung (Chiasmus) – einmal „Stimmen“ in der Satzmitte, dann am Satzende – nach.

Unser Blick richtet sich an diesen auffällig gesetzten Worten und Stellen anders aus: Wir folgen den Zeilen nicht nur von links nach rechts, vorwärts oder rückwärts, sondern „verweben“ den Text in Querverbindungen. So entstehen Hinweise auf eine Deutung. Die komplex vermittelte Situation wird transparent, und es eröffnen sich Perspektiven, die neue Wort- und Sinnzuordnungen zulassen.

  • Quellenangaben und Links zu Stilmittel-Sammlungen

[1] Tote Zeche. Küther, Kurt: Ein Direktor geht vorbei. Peter Hammer, 1974, S. 45
[2] Vgl. Braak, Ivo: Poetik in Stichworten. 8. Auflage. Ferdinand Hirt, 2001, S. 53
[3] auf einen Pappteller. Mayröcker, Friederike: Mein Arbeitstirol. Suhrkamp, 2003, S. 82
[4] Zikade. Enzensberger, Hans Magnus: Verteidigung der Wölfe. [Gedichte. 6 Bände in Kassette]. Suhrkamp, 1999, S. 9

www.wortwuchs.net
Übersicht in Wikipedia