Poesie-Automaten für vergnügliche Lyrik-Spiele

Kategorien: Gedichtimpulse,Lyrik-Spiele — Tags: — Michaela Didyk

Als ich das Web nach Spielen rund um Sprache und Vers durchsuchte – ich hatte den Landsberger Poesie-Automaten von Hans Magnus Enzensberger [1] im Hinterkopf – entdeckte ich die maquina poetica von Stephan Karsch.

Der Zugang zu den beiden Spielen ist leider nicht mehr möglich, da der dafür nötige Flashplayer von Adobe 2021 generell beendet wurde.

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Sofort war ich begeistert: Nicht nur die Ästhetik, sondern der Geistesblitz und hohe Anspruch seiner – inzwischen zwei – Lyrik-Spiele haben es mir angetan. Es erscheinen keine banalen Verse auf Knopfdruck, sondern die Texte lesen sich auch unter lyrischem Maßstab fundiert und mit Tiefgang. Außerdem laden sie zur Mitgestaltung ein.

Kein Wunder, denn Stephan Karsch hat seinen Poesie-Automaten ein vielschichtiges Konzept unterlegt. Es geht primär um eine digitale Lyrik, für die der Bildschirm als Leseumgebung wesentlich ist. Die Besucher/innen sollen in den verschiedenen Leseexperimenten aktiviert werden – und zwar bei der Lektüre wie beim Mitschreiben.

In seiner ausführlichen Erläuterung auf dichtung.digital geht Karsch näher auf die Grundidee und Ausführung seiner maquina poetica ein:

Zentral für das Gesamtprojekt war dabei der Gedanke des Spiels. Spiele mit Poesie sollen unterhalten und anregen mit Sprache kreativ umzugehen, zu kombinieren, zu erfinden, und vielleicht auch die sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten zu erweitern. […]

Die erwähnten Spielarten [der digitalen Poesie] unterscheiden sich in dem variierenden Grad an Mitwirkungsmöglichkeiten, die dem Leser geboten werden. Diese reichen von der reinen Rezeption eines kombinatorischen Gedichtes über das selbstständige Schreiben eines Gedichtes/Textes und Nutzung der Maschine als Textschreibprogramm. [2]

In den verschiedenen Gestaltungsstufen sind individuelle Eingriffe der Spieler/innen möglich. „Man könnte also von einer Kooperation zwischen Autor und Maschine sprechen“, kommentiert der Erfinder, der den Poesie-Automaten 2003 als Abschlussarbeit für seinen Bachelor of Media Design erstellte und für mehrere Preise nominiert wurde. Auch in der wissenschaftlichen Fachliteratur stößt man immer wieder auf die maquina poetica.

Buchstabekketten werden im Poesie-Automaten zum Bild

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© Stephan Karsch ‚poetica visual‘

Die zweite lyrische ‚Spiel-Maschine‘ ist 2010 hinzugekommen. Mit seiner poetica visual betont Stephan Karsch visuelle und filmische Aspekte. Er nimmt dabei auch Anregungen der Konkreten Poesie auf. Mit dieser grafischen Version eines Poesie-Automaten lassen sich Textbilder herstellen, sobald man ein Wort oder einen Satz in der Seitenleiste eingibt. Die lineare Buchstabenkette wird zum Bild, das sich verändert, wenn man die Finger über die Tastatur bewegt. Tippt man schnell, entstehen sogar filmische Sequenzen.

Am besten steigen Sie ´selbst in die beiden Lyrik-Spiele ein. Das Vergnügen ist bei diesen maquinas garantiert, egal ob ein Zufalls- oder Schwarmgedicht oder eine Textanimation entsteht.  Wer weiß zudem, welche Gedichte Sie nicht nur in Ihrer „Kooperation“ mit den Poesie-Automaten, sondern auch in weiterer Folge noch gedanklich „generieren“.

  • Quellenangaben

[1] Enzensberger, Hans Magnus. Einladung zu einem Poesie-Automaten. [amazon-Partnerlink]. Der Poesie-Automat ist im Literaturmuseum der Moderne in Marbach ausgestellt; hier können Sie einen Blick darauf werfen.
[2] Karsch, Stephan: maquina poetica. Gedichte aus dem Automaten. [Konzept und Erläuterung] dichtung.digital

[Der Artikel wurde im August 2017 bzw. Januar 2022 erweitert.]