Sina Klein: „stadtbausteine“ – das Monatsgedicht im August

Kategorien: Projekt Monatsgedichte — Tags: — Michaela Didyk

Gedichte aus anderen Sprachen ins Deutsche zu übersetzen, ist nach Hans Magnus Enzensberger eine der besten Übungen für das eigene Dichten. Bei Sina Klein, der Gewinnerin des Monatsgedichtes zum heutigen August-Vollmond, gehört diese Praxis und Auseinandersetzung mit fremden Sprachen zum Schreiben dazu. Eine Kostprobe hierfür finden Sie über den Link am Ende des Blogbeitrags.
Doch zunächst hat Sina Klein mit dem Siegergedicht ihren Auftritt und zeigt, welche Inspiration auch ihrer eigenen Lyrik zugrunde liegt.

stadtbausteine

und wie wir umríssen des nachts,
mit weißer kreide umkreisten
die zwillinge von terrassen
ertastend sie auf den straßen
deren atem noch warm –

wie wir naschten an stillen fassaden
(selbst bloß noch silhouetten)
die einzelnen zuckerkristalle
von tischen die abzuwischen
sie vergessen hatten –

dann die nischen die uns tarnten
vor laternen denn wir eilten
zu zweit im schein uns
voraus.

© Sina Klein

Andreas Noga, selbst Lyriker sowie Lyrikredakteur der von Sandra Uschtrin herausgegebenen Zeitschrift „Federwelt“ und von Theo Breuers „Faltblatt“ hebt den besonderen Zugang hervor, den die Autorin zum Thema wählte:

Ein Schatten-Gedicht muss nicht das Wort „Schatten“ enthalten. Der Themenbezug kann sich auch durch indirekte Annäherung erschließen. Besonders überzeugt hat mich das Gedicht „stadtbausteine“, das auf die Benennung verzichtet. Ich hatte nicht den Vorsatz, ein Gedicht auszuwählen, in dem das Wort „Schatten“ fehlt. Schon nach der ersten Lektüre aller Gedichte kristallisierte sich allerdings „stadtbausteine“ als Favorit heraus. Als ich darüber nachdachte, warum das so ist, fiel mir auf, dass der Text Atmosphäre schafft, Empfindungen wachruft und Bilder im Kopf entstehen lässt, ohne die Vokabel der Themenstellung zu verwenden. Dies zudem mit sinnlich-poetischen Bruchstücken, die man nascht wie ein Lebkuchenhaus. „Show, don’t tell“ gilt auch für Gedichte. Wie beim Laternenspaziergang ist der Schatten in „stadtbausteine“ ein steter, aber unauffälliger Begleiter.

Im Kommentar ihres Postings im Monatsgedichte-Blog gab Sina Klein auch einen Bildhinweis, wie solche Zwillinge aussehen können. Ich finde den Bezug spannend, wie sich die „stadtbausteine“ so auch in ein anderes Medium ausdehnen und die Idee weitertragen. Herzlichen Glückwunsch an die facettenreiche Autorin! Und wer steckt nun hinter so viel Sprach- und Bildkraft?

Sina Klein – geboren 1983 in Düsseldorf. Lebt, studiert und arbeitet dort in mit und an Sprache (Lyrik, Übersetzungen aus dem Englischen / Französischen; französische Literatur- und Sprachwissenschaften). Lesungen u. a. mit dem Autorenkollektiv Sonny Wenzel & friends. 2010 Nominierung für den Förderpreis der Stadt Düsseldorf für Literatur. Bisherige Gedicht-Veröffentlichungen im Literaturmagazin poet (8) und auf poetenladen.de

„Reif für Kirschen“ heißt Sina Kleins eingangs erwähnte Übertragung des englischen Textes „Cherrie-ripe“ von Robert Herrick (16. Jahrhundert). Das mag zugleich eine Anregung für die 13. und vorerst letzte Runde der Monatsgedichte unter dem Titel „Paradiesgarten“ sein. Juror ist dieses Mal Klaus Seufer-Wasserthal. Er ist Leiter der renommierten Rupertus Buchhandlung Salzburg und Mitbegründer des Salzburger Literaturfestes.