„sterne fallen nicht“ – Johanna Klara Kuppe ist Favoritin für das Monatsgedicht im August

Kategorien: Projekt Monatsgedichte — Tags: — Michaela Didyk

Johanna Klara Kuppe eröffnet als Siegerin die neue 13er-Reihe der Monatsgedichte. Unter dem Motto „Berge über Berge“ gelingt ihr, wie Juror Richard Mayr (Literaturspezialist und Kulturredakteur der Augsburger Allgemeinen Zeitung) in seiner Urteilsbegründung weiter unten ausführt, bei aller Knappheit der Sprache ein dichter Bildbogen.

sterne fallen nicht
auf dächer aus
gneis brennt
unter den füßen
der kalte fels blick
gesenkt auf das
wesentliche im
fenster der
berg

© Johanna Klara Kuppe

Richard Mayr kennt sich nicht nur als Kritiker in der Literatur aus, sondern ist selbst auch Autor. Für seine Erzählung „Feltys Berg“ erhielt er 2010 den Schwäbischen Literaturpreis. Richard Mayr ist außerdem häufig in den Bergen unterwegs; Theorie und Praxis kommen bei seinem Urteil also zusammen.

Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, aus Wörtern Sätze zu bilden. Und wenn man es sich richtig überlegt, geht die bloße Zahl der Wörter gegen unendlich, auch wenn die Wortzähler behaupten, dass es so um die 40000 wären, die wir im Deutschen benutzen. Aus der unüberschaubaren Fülle hat der Dichter/ die Dichterin dieses Gedichts lediglich 21 benutzt, wobei zwei doppelt verwendet werden. Aus der Beschränkung erwächst aber die Fülle. Das Gedicht hebt an mit den Sternen, es endet mit dem Berg, der thematischen Klammer dieser Monatsgedichte. Von den Sternen zum Berg in 23 Wörtern. Dazu die Verben: fallen, brennen und gesenkt. Die Sterne fallen nicht auf Dächer aus Gneis. Sie bleiben bestehen, sie bleiben stabil. Wohingegen die Dächer aus Gneis unter dieser Optik zu einem fragilen Gebilde werden. Der Gneis brennt denn auch unter den Füßen. Da läuft also ein Mensch. Oder handelt es sich vielmehr um eine Frage: Brennt unter den Füßen der kalte Fels? Auch in diesem Satz löst sich das scheinbar Feste auf. Wo die Sterne nicht fallen, der Fels aber brennt oder wenigstens brennen könnte, wird der Blick auf das Wesentliche gesenkt. Nicht in der Höhe, weder an den Sternen, noch an den Dächern aus Gneis kann er sich halten. Im Fenster dieses Blicks, der nun ja der Bewegung nach nach unten gerichtet ist, im Fenster aber dieses Blick findet sich der Berg. Oder kann man das Ganze viel einfacher und weniger hochtrabend lesen? Wandert hier schlichtweg jemand einen Berg hinauf. Brennen die Fußsohlen vom vielen Laufen? Kann man es nicht mehr ertragen, nach oben zu blicken, weil der Weg so lang ist? Bleibt der Berg aber trotzdem noch im Fenster? Wird der Wanderer oben ankommen? Er wird, wünschen wir ihm. Und schon wird deutlich, dass hier mit wenigen Worten etwas eingefangen ist, das nicht mehr nur eindeutig gelesen werden kann, dass hier Sprache im besten Sinne verdichtet wurde, zur Dichtung wurde.

Herzlichen Glückwunsch an Dich, Johanna! Wer die Autorin kennt, ist oft verblüfft über ihre Ideenfülle, sei es beim Schreiben, sei es in der Ausrichtung ihrer zahlreichen Lesungen. Bei Johanna Klara Kuppe ist Dichtung sinnlich und lebendiges Wort, mit dem sie – sensibel und aus der Erfahrung ihrer beruflichen Tätigkeit – auch die flüchtigen Grenzbereiche zum Tod in einer mitunter fast ätherischen Sprache vermittelt.

Johanna Klara Kuppe – geboren in Wuppertal, lebt seit 1992 in Waiblingen (B.-W.), Erzieherin und Musikalienhändlerin, zuletzt (und noch zeitweise) in der Demenz – und Alzheimerarbeit tätig. Lesungen,  Literaturprojekt „Schwarz-Weiss“ der Gruppe „Handvollreim“, Gedichte erschienen in Anthologien und Online-Magazinen.
Ihre Lyrik möchte die Türen zu Klangräumen öffnen und einladen, „Zwischenraum-Blicke“ zu riskieren, um dann eigene Wege anhand der Texte zu gehen.