Auf ein Neues: Johanna Klara Kuppe stellt mit ihrer Übersetzung auch das Monatsgedicht im September
Glück ist verschwenderisch und lässt sich gerne dort nieder, wo es schon einmal war. Zumindest verhält es sich so bei den Monatsgedichten. Vier Favoriten hatte Jurorin Barbara Yurtdas für ihre abschließende Entscheidung „feinsortiert“. Johanna Klara Kuppe machte mit ihrer Übersetzung eines „Chanson Populaire“ aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts das Rennen.
Ein schlichtes Lied bekam vor anspruchsvolleren Vorlagen Vorrang. Die waren in Teilen zwar außergewöhnlich übersetzt, aber der eine oder andere Übertragungsfehler hatte sich dabei eingeschlichen. In ihrer Beurteilung, die Sie weiter unten lesen können, macht Barbara Yurtdas deutlich, warum sie Johanna Kuppe und ihrer Übersetzung den Lorbeer zusprach.
Volkslied
O Gott, wie Liebe bringt doch Leid
Weiß gut, wovon ich rede:
Kommt in mein Herz Erinnerung
An die, für die ich lebeIch traf Sie eines Tages:
„Mein Lieb, wie geht es dir?“
„Mir geht es gut so ohne dich,
Ganz kurz gesagt, ich lieb dich nicht!“Die Schiffe auf der Seine
Gehören nicht nur einem
Und ich gehör nicht mehr zu dir
Vergeude meine LeidenAde du weißer Majoran,
Ade auch Rosmarin,
Gepflückt hab‘ ich euch Tag und Nacht
Hab auf die Liebste nur gewart‘Wie Liebende doch leiden
.Übersetzung © Johanna Klara Kuppe
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Chanson Populaire
Vrai Dieu, qu’amoureux ont de peine!
Je sai bien à quoi m’en tenir:
Au cuer me vient un souvenir
De la belle que mon cuer aimeJe la fus veoir l’autre semaine:
„Belle,comment vous portez vous?“
„Je me porte tres bien sans vous;
A bref parler, point ne vous aime.Tous les bateaux qui sont sur Seine
Ne sont pas tout à un seigneur;
Aussi ne suis je pas à vous:
Qui bien vous aime y pert sa peine.Adieu la blanche marjolaine,
Aussi la fleur de romarin,
Que j’ai cueuilli soir et matin
En attendant celle que j’aime.
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Aus einer Liedersammlung, zweite Hälfte des 15.Jahrhunderts
Barbara Yurtdas, selbst Übersetzerin, Roman- und Sachbuchautorin sowie Lyrikerin, war angetan von den hochkarätigen Vorlagen sowie der Übersetzungsleistung und den „kreativen poetischen Lösungen“ der Teilnehmer/innen. Von Sir Philip Sidney und William Shakespeare über Charles Baudelaire, Arthur Rimbaud, Elisabeth Barrett Browning, Robinson Jeffers, David Allen Evans und Sylvia Plath zu Yves Bonnefoy, Denise Desautels, schließlich Gonca Özmen reichte die Reihe der übertragenen Originalautor/innen, um nur einige von ihnen zu nennen.
Lesen Sie hier nun Barbara Yurtdas‘ Begründung ihrer Monatsgedicht-Auswahl:
Mein Favorit ist die Übersetzung des französischen Volkslieds VraiDieu, qu’amoureux ont de peine eines unbekannten Verfassers, aus einer Sammlung des 15. Jahrhunderts. Die Aufgabe, in der deutschen Übersetzung die Balance zwischen Textreue und kreativer Gestaltung zu wahren und ein in Form und Ton stimmiges Gedicht zu schaffen, wird im vorliegenden Beispiel gut gelöst. Der Text liest sich wie ein deutsches ‚Volkslied’ und erinnert nur durch die Erwähnung der „Schiffe auf der Seine“ an die Verankerung des Originals im französischen Sprachraum.
Die Übersetzung bedient sich in freier Form der sogenannten ‚Volksliedstrophe’. In den vierzeiligen Strophen wechseln viertaktige und dreitaktige Verse mit männlichen und weiblichen Versenden ab, jedoch nicht regelmäßig. Am ehesten entspricht noch die erste Strophe dem Schema. Anstatt der im Original vorherrschenden Reime werden Assonanzen und Waisen verwendet. Diese Freiheit ist im Volkslied durchaus erlaubt, sie ermöglicht eine größere Freiheit der Wortwahl, so dass sich zum Beispiel nicht „Herz“ auf „Schmerz“ reimen muss. Regelmäßiger als im französischen Original ist im deutschen Text hingegen der Wechsel zwischen betonten und unbetonten Silben, so dass – trotz des tragischen Themas – ein Plauderton entsteht, der an Heine erinnert. Der Dialog der Liebenden in der zweiten Strophe klingt in seiner Knappheit und Ironie geradezu modern. Durch Zeichensetzung am Ende der zweiten Strophe (Gänsefüßchen fehlen im Original) hat die Übersetzung entschieden, dass hier die Rede der Frau endet, so dass die dritte und vierte Strophe, ebenso wie die erste, den Kommentar des ‚lyrischen Ich’, d.h. des Mannes darstellt.
Eine Besonderheit der Übersetzung ist die angefügte Schlusszeile, die sich auf den Anfang bezieht – eigentlich eine genauere Übersetzung der Aussage der ersten Zeile (ohne die Anrufung Gottes). Die Übersetzung schafft so einen Rahmen, der durch die im Volkslied gebräuchliche Alliteration ‚Liebe/Leid’ betont wird.
Eine geglückte, kreative, in sich stimmige Übersetzung.
Da kann ich nur mit einem Bravo und Hoch auf Dich, Johanna, anschließen :-)
Da Sie einiges über die Gewinnerin schon beim Monatsgedicht für August nachlesen können, stellt sich die Autorin im September nun mit Buch und Projekten vor:
„Projekte mit anderen Künstlern finde ich sehr spannend, da sie ‚lebendig‘ sind und ganz neue Einblicke gewähren, sowohl in die Arbeit der Anderen als auch in die eigene, anders ausgedrückt … mit Augen und Worten wie eine Gemse die Grenzen überspringen.“
Mit diesem Statement nimmt Johanna Klara Kuppe auf ihren Band „Cassiopeia“ Bezug, in dem sie ihre Gedichte mit Graphiken von Sven Oliver Wangemann paart. Doch diese Einstellung gilt für Johanna Kuppe ganz allgemein, sei es dass sie seit vielen Jahren mit ihrem Mann Andreas Kuppe Lyrik und Fotografie in Ausstellungen und Leseveranstaltungen kombiniert, sei es dass sie nun in ihrem nächsten Lyrikprojekt gemeinsam mit vier anderen Autorinnen – genannt „HandvollReim“ – auf „Schwarz – Weiss“ setzt und diesem Thema einen Lesungsabend in Waiblingen (25. November 2011) und Esslingen (Februar 2012) widmet.
Intensivieren will Johanna Kuppe auch ihre Lyrikerfahrungen mit Jugendlichen. Am 23. September liest sie vor Gymnasiasten und will ihnen in ihrer Performance den Zugang zu Gedichten erschließen. Die Planung und Organisation für Lesungen und lyrische Projekte laufen auch für 2012 bei Johanna Kuppe auf Hochtouren.