Monatsgedicht Februar: „kneipengeheimnis“ von Marion Röckinghausen
„Geh nicht ins Bad vor mir/ […] / Und putze dir nicht die Zähne leg sie ins Glas“, heißt es in einem früheren Text von Marion Röckinghausen. Für Beziehungen hat die neue Siegerin der Monatsgedichte einen speziellen Blick. Nüchtern bis lakonisch ist die Sprache, wenn das lyrische Ich seinen Alltag reflektiert und in der Desillusionierung oft sogar schockiert.
„kneipengeheimnis“, der Favorit der Februar-Runde, lässt noch die Vision einer Liebe anklingen. Sich im Lauf der Jahre fremd geworden oder noch fremd am Anfang einer jungen Beziehung – vom Prickeln bis zum schalen Nebeneinander existieren vielerlei Facetten.
kneipengeheimnis
am tisch gemein
sam mit dir
allein zu zweitgläser halten
die blicke
gefangenmünder trinken
kein wort
aus sich rauschampagner am
nebentisch neben
dem seitenblickprickeln augen
sterne aus
den winkelnMarion Röckinghausen © Athena Verlag
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Die Jurorin Gabriele Dau lebt nahe Salzburg. Die Diplombibliothekarin und Buchhändlerin, zudem Anglistin mit Schwerpunkt Literatur, begründet ihre Wahl wie folgt:
Wer hat es nicht schon selbst erlebt: Eine zu Ende gehende Beziehung oder zumindest eine, die tief in der Krise steckt! In diesem Gedicht wird ein scheinbar alltäglicher Kneipenbesuch zur Beziehungsbilanz, die Kneipe zur Beziehungsbühne.
Schweigen, subtile Aggression (wunderbar: die Kombination von Wortspiel mit Zeilenumbruch in der ersten Strophe!), Leere, Verzweiflung: Dies sind die Gefühle, die sich am eigenen Tisch breit gemacht haben. Am Nachbartisch – vom lyrischen Ich voll heimlicher Sehnsucht beobachtet – spielt sich der Gegenentwurf ab, ein Neubeginn, verheißungsvoll – „prickelnd“ eben!
Von der ersten bis zur letzten Zeile ist der Bogen sorgsam gespannt von sparsam gewählten, jedoch punktgenau treffenden Worten, die dem Leser die Geschichte einer Beziehung und die vielfältige Gefühlswelt der sprechenden Person vermitteln.
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Als ich Marion Röckinghausen um einige Stichpunkte zur Vita bat, war ihre erste Antwort: „Schreiben heißt für mich Leben! Nur wenn ich schreibe, lebe ich vollständig.“ Dann fasste sie nach: „Das mag pathetisch klingen, aber es ist so.“ Wer die Autorin kennt, weiß es. Herzlichen Glückwunsch!
Marion Röckinghausen, geboren 1952, lebt und schreibt oder schreibt und lebt in Marburg.
Veröffentlichungen in verschiedenen Anthologien und auf Internetportalen; Lesungen im Odenwald (Jazz in Winterkasten) und in der Kulturwerkstatt Tannberg/ Salzburg, in Köln und im Landkreis Marburg-Biedenkopf; Radiosendungen in Marburg (Radio Unerhört Marburg RUM), die nächste Radiolesung ist für Mai in Vorbereitung.
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Die aktuelle Runde der Monatsgedichte läuft unter dem Motto „Süden“. Jurorin ist Ulrike Budde, vormals Journalistin, nun in zahlreichen Wort- und Bild-Projekten engagiert. Ulrike Budde bringt durch ihre Mitgliedschaft und Vorstandsarbeit in Verein, Verband und Literaturgesellschaft einen neuen Blickwinkel in die Jurygemeinschaft.