Anna Fried stellt mit „pas une vie douce“ das Monatsgedicht für August

Kategorien: Projekt Monatsgedichte — Tags: — Michaela Didyk

‚Dolce vita‘ lautete das Thema der Schlussrunde in der zweiten Monatsgedicht-Serie. Ob dieses Motto genug Anreiz für ein Gedicht gebe, hatte ich mit Juror Stefan Monhardt noch bei der Ausschreibung diskutiert. Die Rechnung ging auf. „Ich bin total begeistert über die so unterschiedlichen Töne und Ansätze …“, schrieb er mir nach Erhalt des Jurypakets, „Leicht wird die Auswahl ‚eines‘ besten Textes aber nicht.“ Anna Fried konnte sich mit ihrem Gedicht durchsetzen:

pas une vie douce

sie waren ein wenig sauer
weil die Völker das nicht wollen
weil das nicht geht
weil es stört!

il etait un peu acide
les peuples n’en veulent
parce qu’elle ne peut pas
parce qu’il derange!

© Anna Fried

Stefan Monhardt lebt als freier Autor und Übersetzer in Berlin. In seinem Essay im Sammelband Umkreisungen. 25 Auskünfte zum Gedicht verweist der Juror auf die Irritationsmöglichkeiten lyrischer Texte: „Vielleicht verhalten sich Gedichte so zur Welt wie Graupeln: sie sind in der Welt, aber gehören nicht zur Welt.“ Welcher Denkraum sich aus solcher Sonderstellung ergibt, ist auch in Stefan Monhardts Urteilsbegründung spürbar:

Ein Gedicht muß nicht geheimnisvoll sein, um gut zu sein. Aber das Gedicht „pas une vie douce“ ist gut, weil es geheimnisvoll ist. Sein Geheimnis ist nichts Nebulöses und Dunkles, sondern taghelle Mystik: „Man brauche gewöhnliche Worte und sage ungewöhnliche Dinge“.
Ungewöhnliche Dinge? Jeder Vers in diesem Gedicht ist ein knappster Satz, sein Inhalt an Gewöhnlichkeit kaum zu überbieten. Das Rätsel entsteht erst beim Zusammenbauen dieser glasklaren, banalen Sätze. ‚Sauer sein’, das bedeutet doch eine Irritation im überschaubaren Bereich des Persönlichen oder Privaten. Hier aber sind offenbar Menschen deswegen sauer, weil „die völker“ „das“ nicht wollen. Was für Ungeheuerliches muß „das“ denn sein, wenn dadurch gleich eine globale Dimension berührt wird? Und umgekehrt: Wieso löst der geballte Unwille der Völker nur etwas so Harmloses aus wie jenes „ein wenig sauer“-Sein?
So spricht dieses Gedicht in jedem Satz ganz präzise von etwas, das es uns sofort wieder entzieht. Wir bekommen es nie zu fassen, der Text geht nie auf.
Und als sei das nicht genug und als hätten wir noch nicht begriffen, daß wir es nicht begreifen werden, sagt es uns das alles gleich noch einmal auf Französisch.
Schon bei den ersten beiden Worten sehen wir aber, daß es sich bei der zweiten Strophe nicht einfach um eine Übersetzung der ersten handelt: „sie waren …“, hieß es zuvor, ‚er war …’, heißt es nun. Dann wird ganz brav wörtlich übersetzt: „… un peu acide“. Doch gerade die wörtliche Übersetzung ist hier die den Wortsinn verkehrende: Das Französische verwendet das Wort nicht metaphorisch, ‚acides’ sind allenfalls Weine und Zitronen, keine Menschen. „weil das nicht geht“, sagt der deutsche Vers, ‚weil sie nicht kann’ sagt der französische, „weil es stört“ der deutsche, ‚weil er stört’ der französische.
Ist die zweite Strophe eine Variation, Parodie, Ergänzung, ein Kommentar, eine Korrektur oder Verschlimmbesserung der ersten? Oder umgekehrt? Oder reden beide Strophen von ganz Verschiedenem, sind das eigentlich zwei Gedichte?
Mit diesem Text habe ich nicht gerechnet. Ich bin immer wieder zu ihm zurückgekehrt, und oft hat er mich auch geärgert. Führt mich dieses lapidare Gedicht an der Nase herum? Steckt dahinter vielleicht ein ganz einfacher Witz, den ich noch nicht erkannt habe? Zwingt es mich, es zum Gedicht des Monats zu ernennen, nur um als Juror nicht dumm dazustehen? Ich weiß nicht einmal, ob es die Möglichkeiten, die in ihm angelegt sind, wirklich auschöpft, ob seine Zweisprachigkeit nicht vielleicht sogar ein wenig arg schick ist. Aber merkwürdig: All diese Fragen interessieren mich gar nicht. Mich beunruhigt dieser Text, und er beunruhigt mich auf die schönste Weise, in der Gedichte uns aus unserer behaglichen Selbstverständlichkeit aufstören und eine Idee des wahren süßen Lebens evozieren können.

Meist waren es Wortspiele, die Anna Fried während des Jahres beim Projekt Monatsgedichte postete. Die Arbeit mit und an der Sprache ist bei ihr offenkundig: Der Buchstabe selbst rückt ins Rampenlicht. So fällt auch die Vita Anna Frieds, die sie mir für die Vorstellung hier im Blog schickte, ungewöhnlich aus:

Von dieser VITA aus lässt sich im „Herauspicken“ weiterer Lettern und mit einem Gruß durchaus nochmals der Sprung zur ‚dolce vita‘ machen: Herzlichen Glückwunsch, liebe Anna Fried!
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