Oliver Füglister gewinnt mit „Unstille“ die Januar-Runde

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Im Januar schlägt das Pendel in die andere Richtung. Auf die „Stille“ des letzten Monats folgt nun die „Unstille“. Beim Thema Film- und Kinogedicht hat Oliver Füglister gerade durch seinen humorvollen Einschlag die Monatsgedicht-Runde für sich entschieden. Die besten Glückwünsche gehen dieses Mal nach Basel.

 Unstille

Rauschen. Sirren. Piepsen.
Ameisenlauf
Opa sitzt im Sofa und schläft
Oma sitzt im Sofa und schläft.
Ameisenlauf
Schwirren. Rauschen. Zirpen.
Filmspule schlappt
Abgerollt. Hitze der Maschine.
Im Heizungskörper Rasseln.
Oma schläft – die Zähne!
Opa schläft – die Nase!
Ameisenrennen
Die Zeit gewinnt.
Schemen eines Bildes
Still in der Unstille
Der 100’000 Punkte.
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© Oliver Füglister

Katrin Greiner traf die Auswahl für das Monatsgedicht im Januar. Für die Lektorin, Journalistin und Germanistin aus Halle, die 2011 auch der Jury für den MDR-Literaturpreis angehörte, spielt sich der Film gleich auf mehreren Ebenen ab.

 Katrin Greiner wählt „Unstille“ von Oliver Füglister zum Monatsgedicht

Profanes Equipment: ein Sofa, ein imaginärer Filmvorführapparat (wie heißen bloß diese Dinger?), eine Filmspule, eine Heizung und falsche Zähne. Das Personal: Oma und Opa (und natürlich das beobachtende lyrische Ich, das sich hier aber weitgehend raushält mit Kommentaren). So weit, so gut. Und daraus soll ein Gedicht entstehen? Eines, das die Welt ver-dichtet in wenige Zeilen? Genau das.

„Unstille“, der Text, für den ich mich entschieden habe, kommt mit einfachen, aber sinnlichen Worten aus: rauschen, zirren, schwirren, piepsen, rasseln. Weniger ist hier eindeutig mehr. Das ist Lyrik, die sich selbst nicht zu ernst nimmt, sondern eine gewisse Leichtigkeit suggeriert. Hier braucht es weder bedeutungsschwangere Metaphern noch Welthaltigkeit mit der Holzkeule. Oma und Opa schlafen, der Film, vorher noch im „Ameisenlauf“, ist nach einem Rennen zu Ende, die Spule schlappt und die Zeit ist Erster.

Das genügt. Der Text gerät selbst zu einer kurzen (Film-)Sequenz, die im Leser eine ganz neue, ganz eigene Reihe von Bildern anstößt. Welcher/wessen Film ist gemeint? Warum – verdammt! – ist es still trotz des Ratterns der Spule? Welches 100000-Pixel-Bild bleibt stehen?

Nun also bin ich doch dem Regisseur des Ganzen auf den Leim gegangen: Eine einfach anmutende Inszenierung genügt und ich finde mich in meinem eigenen Film wieder, kann nicht einfach abhaken und weitergehen, sondern drehe und wende die mir offerierte Szenerie immer wieder. Und das ist gut.

„Kleine autobiografische Skizze“ nannte der Gewinner seine Vita, um die ich ihn bat. Sie macht den Beitrag mit Gedicht und Urteilsbegründung nicht nur im leichten Ton, sondern auch im weiteren „Film“ rund und „entspricht“, so Oliver Füglister,“ grade sehr gut meiner jetzigen Stimmung, launisch, unernst und ernst in einem.“

 Vita | Oliver Füglister

Oliver Füglister, * 1974 in Lausanne, Schweiz
Seit April 2011 ist er Hausmann, kümmert sich um seine beiden Kinder (9 und 2 ½ Jahre) und versucht, sich in einer Existenz einzurichten, die mit der Arbeitswelt, die er zur Genüge kennen gelernt hat – zuletzt als Geschäftsführer einer kleinen Marketingfirma -, nichts mehr zu tun hat: sich nur mit Worten und Gedanken, mit Bildern und Abbildern beschäftigend.

Ausgebildeter Mittelalter-Historiker, widmet er sich zurzeit einerseits dem Schreiben von Gedichten, wobei er Mühe hat, dem freien Vers etwas Eigenes abzugewinnen, nachdem er monatelang nur Sestinen geschrieben hat, und möchte bis Frühling 2012 erstmals mit einer poetisch-absurden Nachrichtenrevue an die Öffentlichkeit treten (vorzugsweise in einem Café seines jetzigen Wohnorts Basel).

Oliver Füglister hat folgende Prägungen aufzuweisen, die in sein Schreiben einfließen:

Kindheit in katholischem Hinterland, grüblerische Mutter, frühe Fabulierlust, als Lügen tituliert, erste Liebe, Entdeckung Rimbauds, zweite Liebe, Entdeckung Dostojewskis, dritte Liebe, Berlin (rund 6 Jahre), Entdeckung der Haiku-Kunst, Entdeckung Prousts, 1. Kind, Entdeckung Joyces, 2. Kind, Burnout, Entdeckung des Prinzips „reduce to the max“ im freien Vers anhand der Lyrik von Samuel Menashe. (Einziges poetisches Idol: Jaan Kaplinski.)

Ist jetzt gerade in der Waschküche am Wäschehängen, sein Junge rast donnernd auf seinem blauen Auto unter den Laken hindurch.

Da kommen mit Oma und Opa Generationen zusammen und der Film hat seine neue Episode. Im Web ist Oliver Füglister auf Twitter unter @ofueglister zu finden..