Ein ‚kubus‘ für das Monatsgedicht im Juli

Kategorien: Projekt Monatsgedichte — Tags: — Michaela Didyk

Monatsgedicht im Juli bunte Ziffern zum Thema Poesie und Mathematik

© Danilo Rizzuti | Fotolia

Zahl oder geometrische Figur – Carla Capellmanns „kubus“ verbindet beides

Die Würfel sind gefallen: Carla Capellmanns Text „kubus“ ist das Monatsgedicht im Juli. „Poesie + Mathematik“ lautete das Thema, bei dem die Lyrikerin mit ihrem „Würfel“ Zahlengesetz und Wortspiel neu kombiniert. Herzlichen Glückwunsch an die Sprachkünstlerin!

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kubus
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wie  die welt nicht  ist :
s y m m e t r i s c h su
mmetrisch  kantenglei
ch formen sich  frosch
-schenklige  summen:
…  fliegenquadrark  …
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© Carla Capellmann

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Die Welt neu im Blick – Hannelore Tyslik begründet ihre Wahl für das Monatsgedicht im Juli

Hannelore Tyslik, Lektorin und Übersetzerin, übernahm – in der Lyrik wie auch Mathematik zuhause – die Jury für das Monatsgedicht im Juli. Gerade auch die Symbolik des Quadrats, das als Grundfläche des Würfels mit der Zahl Vier einhergeht, gibt  dem Gedicht  Tiefe:

Mathematik und Poesie – das grenzenlose, in Licht getauchte, luftige Reich der Ordnung und Klarheit und der tiefe, dunkle, geheimnisvolle Zauberwald: Die Wechselwirkungen dieser nach Oswald Egger „verwandten Denkarten“ gehen im Gedicht, für das ich mich im Rahmen dieses Projekts entschieden habe, eine geglückte Verbindung ein. Doch scheint das geistig kühle, von jeglichem Überschwang gereinigte Element zu dominieren.

„kubus“ verschließt sich einem einfachen Zugang, allzu transparente Logik wird in den Hintergrund verbannt. Es handelt sich hier um eine Komposition, die nicht unbedingt verstanden werden will, in der das Unsagbare lediglich anklingt, angedeutet wird. Das Gedicht sticht durch seine schlichte äußere Form hervor. Die reimlose, sechs Zeilen umfassende Komposition weckt bereits optisch Assoziationen an die Fläche eines Kubus, das Quadrat, das die Erde, die Materie, das Geschaffene symbolisiert. Was es aber damit auf sich hat, bleibt noch verborgen. Das Wort „symmetrisch“ springt dem Leser durch seine optische Hervorhebung ins Auge, und damit sind wir auch schon mitten im Thema. Das lyrische Ich erklärt, „wie die welt nicht“ sei, also rund, symmetrisch. Im Gegenteil, sie ist ein kantiger Würfel. Der Schein trügt also, aber auch das erschließt sich dem Leser erst durch einiges Nachdenken. Nichts ist so, wie es scheint, alles also eine Frage des Blickwinkels?

Sinnliches und Geistiges verweben sich

Das Sinnliche kommt in Gestalt von Fröschen und Fliegen daher und bildet den Gegenpol zur mathematischen Klarheit, Ordnung und Symmetrie. Sinnliches und Geistiges werden mittels eines mathematischen Vokabulars miteinander verwoben und bringen bizarre Neuschöpfungen hervor, die in eine dissonante Spannung zueinander geraten. Die Welt ist eben nicht symmetrisch, verbindet vielmehr Gegensätzliches auf irritierende Weise: Von „froschschenklige(n) summen“ ist die Rede und von einem „fliegenquadrark“ (einem „quadratischen Fliegengitter“?). Und nicht zuletzt wird in diesem lyrischen Werk die Lust der Dichterin am Spielerischen („fliegenquadrark“) offenbar, am Spiel der Sprache und der Phantasie, an der absoluten Freiheit des schöpferischen Geistes.

In „kubus“ bleiben einige Rätsel ungelöst und viele Fragen offen, weil die Komposition sich einem begrenzenden Verstehen entzieht. Hier ist also der aktive, mitwirkende Leser gefragt, der sich mit einem solchen lyrischen Werk intensiv auseinandersetzen muss, um so nah wie möglich zu dessen Kern vorzudringen. Letztlich bleibt aber immer ein Rest des Unbestimmbaren, der sich nicht erklären lässt. Und das macht die Faszination solcher Sprachkunstwerke aus.

Der „Gesichtswechsel“ der Wörter – Carla Capellmann tauscht nicht nur in „kubus“ Buchstaben aus

Nicht nur beim aktuellen Monatsgedicht im Juli, sondern schon in früherer Runde 2010 hat Carla Capellmann mit „prae.spiele“ durch ihre Wortkunst überzeugt. Die Vita dort ergänzt die Lyrikerin nun mit folgendem Fließtext und Versklang:

Aktuell arbeite ich an einem Roman, in dem Worte eine wichtige Rolle spielen: Worte, die sich drehen und wenden und doch gleich bleiben, andere, die durch einen kleinen Buchstabentausch ihr Gesicht wechseln – winzige Änderungen und alles verrückt. Verrückt. Egal, ob ich „kurz“ oder „lang“, „dicht“ oder quadratisch schreibe, die Sprache [spielt mit und]* spielt mit mir:
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buchstaben verrücken verdrücken worte
drücken drehen und wenden den sinn da
zwischen dahinter daneben (dada lala) ein
lied ein fühl ein klang / einklang / warum
zum teufel schreibe (reibe) ich ver[s]rückt

Nachtrag Oktober 2017: Als Einzelveröffentlichungen sind Carla Capellmanns Gedichte auch in den folgenden Bänden enthalten: Rosen-Worte, Liebe und andere Ungereimtheiten, Begegnungen und in besonderer Edition mit nummerierter Auflage: Halb-offene HandlungsRäume.  Buchobjekte, Constanze Kreiser, 2015.

Der oben erwähnte Roman ist inzwischen fertig und es heißt, der Autorin Daumen drücken für Agentur und Verlag.

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