Ingritt Sachse im Interview | Gedichte für Kinder oder das Eigenleben der Silben

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Ingritt Sachse, Portrait der Autorin und Vorstellung des Kinderbuchs "Still steht und schnauft der gruene Ellkaweh"

Portrait Ingritt Sachse / © privat

Aus der Bewegung schreibend ins Spiel kommen

Ingritt Sachse schreibt Gedichte für Erwachsene und für Kinder. Unter den Sieger/innen beim Projekt  Monatsgedichte ist die Lyrikerin mit beiden Spielarten vertreten. Das Kindergedicht manchmal wundere ich mich sieht die damalige Jurorin Katrin Greiner „in der Tradition der Texte, in denen die Selbstvergewisserung des Kindes beschrieben wird und die mit den Namen der großen Kinderlyriker wie Josef Guggenmos verbunden ist: Es geht um nichts weniger als das ‚Wunder Ich'“.

Dem Staunen und Überraschtwerden begegnen Sie auch im Interview: Bei Ingritt Sachse selbst, wenn sie in der Bewegung des Körpers oder im Gedankenkreisen einen spontanen Sprachzugang gewinnt und dabei neue Silben und Wortspiele (er)findet. Sie sehen dieses Wundern aber auch als Wirkung des Textes, die eine junge Leserin erfasst hat.

Haben Sie in diesem Sinn viel Gewinn aus dem Gespräch und vor allem aus der Lektüre und Lesung der Gedichte.

Worte, die sich verdrehen –

„Ich schreibe das Gedicht einfach so, wie ich es will, bzw. wie es mir widerfährt […] Und hinterher stelle ich dann vielleicht fest: Dieses Gedicht könnten auch Kinder mögen.“* Das Zitat stammt von Arne Rautenberg, der eine Reihe Kinderbücher publiziert hat. Wie läuft es bei Dir ab? Gibt es einen Funken, der Dich einfach loslegen lässt, und kommst Du dabei mit Silben und Wörtern ins Spielen? Oder gehst Du mit der Absicht ans Werk, dass Du jetzt ein Kindergedicht schreibst?

Oft weiß ich gar nicht so genau, ob da ein Gedicht entsteht – manchmal ist es ein Wort, ein Gedanke, eine Situation. Wortspiele und Reime kreisen durch meine Gedanken, Bilder kommen dazu. Sobald ich es bewusster wahrnehme, spiele ich oft damit weiter.

© Ingritt Sachse: wenn Ohrenspitz mit Schnautzelwitz

Wenn ich die Einfälle nicht in ihren Anfängen aufschreibe, verliere ich auch wieder etwas von diesen Lautspielen und Bildern. Oft ist auch noch nicht klar, ob es eher Textzeilen für Erwachsene oder für Kinder sein könnten. Manchmal, wenn mir Silben oder Buchstabenspiele in den Sinn kommen, macht es einfach Freude, sie in mir weiter spielen zu lassen. Worte verdrehen sich und neue bilden sich. Mir einen solchen Text vorzunehmen, ist nicht mein Zugang. Ich muss offen sein dafür und mich von mir selbst überraschen lassen.

Lakratze Lakritze ich mach keine Witze
schwarz wie Lakritze ist meine Katze
so schwarz wie die Nacht.

Lakritze Lakratze schneeweiß ihre Tatze
ihre Pfote links hinten
kannst du sie sehen?

Auf der roten Matratze liegt meine Katze
so schwarz wie Lakritze so
schwarz wie die Nacht.

Sie leckt sich und streckt ihre Tatze
zieht eine Fratze will schlafen die Katze
nach dieser Nacht.

Lakritze Lakratze
neben der Tatze neben der Pfote liegt
eine Maus.

Sie ist meine Katze, auch wenn sie mal kratzt und
mit ihren Krallen, mit ihren Zähnen
ein Mäuschen zerfatzt.
Lakritze Lakratz

©Ingritt Sachse

– und dem Zensor entkommen

Spielt der „innere Zensor“ so ohne Weiteres mit und mischt er sich weniger ein als bei Gedichten, die Du für Erwachsene verfasst?

Der „innere Zensor“ kriegt es wohl gar nicht so mit; anders als bei Texten, die von vornherein an bestimmte Themen angelehnt sind. Da ist es dann die Kunst, immer wieder loszulassen.

Manchmal beim Spazieren, Hüpfen oder Tanzen entstehen aus dieser Bewegung heraus erste Reime, Silben o. ä., die ich eben notiere. Danach liegen die Aufzeichnungen herum und ich schaue sie erst später wieder an. Dabei geht es meistens etwas ernster zu, und auch der Zensor stellt sich nun des öfteren ein. Das macht aber nichts, da die Hauptsache ja bereits ohne ihn „passierte“.

Die ersten Kindergedichte –

Wie hast Du angefangen, für Kinder zu schreiben? Gab es zur inneren Spielfreude auch im Außen Impulse oder Bezugspersonen?

Ja, wie bin ich zu den Kindergedichten gekommen? Ich habe bei meiner früheren Tätigkeit zunächst als Kindergärtnerin und später als Sozialpädagogin mit Fünf- bis Siebenjährigen in einer Vorklasse gearbeitet. Während meiner Ausbildung hatte ich Freude an Kinderbüchern, an Reimen und Geschichten. Während meiner Arbeit hatte es mir vor allem Josef Guggenmos angetan. Für die Kinder in der Vorklasse habe ich mir oft Geschichten und Reime ausgedacht, die zu aktuellen Situationen passten und dazu anregten, selbst mit Worten und Lauten zu spielen.

© Ingritt Sachse: Bitte den Rasen nicht betreten

– zu Büchern herangewachsen

Erste Kindergeschichten schrieb ich für meine beiden Neffen, da ich aufgrund meines Zweitstudiums (Psychologie) mit einer halben Stelle an einer Gesamtschule in Berlin finanziell gerade so über die Runden kam und für Geschenke nicht viel übrig blieb. Diese Geschichten machten allen Freude – den Neffen, der Tante und denen, die sie ebenfalls lasen.

Auch als diese Zeit vorbei war, drehten sich weiterhin Reime und Wortspiele in meine Gedanken, purzelten durcheinander wie damals in der Vorklasse und lieferten Überraschungen sowie neue Sichtweisen. Auf diese Art entstanden die beiden Bücher Die Kröte Schild (2016) und zuletzt Still steht und schnauft der grüne Ellkaweh (2020).

ein Ball ein grüner Ellkaweh

ein grüner Ball mit einem Kind hüpft auf die Straße
schnauft schwer und ächzt der grüne Ellkaweh

der grüne Ball mit seinem Kind hüpft leicht hinüber
still steht und schnauft der grüne Ellkaweh

  © Ingritt Sachse

Sprachspiele haben ihre sinnliche Seite –

Bekommst Du ein Echo auf Deine Kindergedichte? Aus der Fachwelt? Auch direkt von Deinen jungen Leserinnen oder Zuhörern? Was gefällt ihnen? Wie nehmen sie die Texte auf?

Der „Ellkaweh“ wurde für das rheinische Lesefest Käpt‘n Book im Herbst 2021 vorgeschlagen. Dass es dazu kam, hat mich sehr gefreut. Die „Kröte Schild“ ist in einem Fachverlag erschienen; die Sprachspiele und Bilder im Buch werden hier auch im Rahmen der psychotherapeutischen und pädagogischen Arbeit mit Kindern empfohlen, obwohl ich die Texte generell für den Alltag geeignet finde.

Am meisten gefällt es mir, wenn ich von den jungen Leser/innen selbst  Feedback bekomme. Spannend finde ich beispielsweise, dass ein Mädchen sich darüber wunderte, dass sich viele Texte gar nicht „einfach so“ lesen, obwohl sie doch mit allem Wortspiel und manchen komischen Alltagsperspektiven lustig sein sollten. Sie hatte mit ihrem Vater wiederholt die Gedichte – auch laut – gelesen, und es überraschte sie, dass sich ihr dabei immer neue Bilder und Situationen auftaten.

– und ermuntern zu Taten

In einem anderen Fall wurde der Enkel ganz neugierig auf die Pflanzen, über die er in zwei Gedichten etwas erfahren hatte. Großmutter und Enkel wollen sich im Frühling und Sommer auf die Suche nach den Blumen begeben! Dadurch merke ich, dass sich in der Welt der Kinder neue Sichtweisen ergeben. Sie sind offen für noch unbekannte Dinge und Ideen und wollen sie auch sinnlich erfahren.

Daher finde ich auch die Illustrationen wichtig. Sie sind in beiden Büchern, wie in der Leseprobe zu sehen ist, schwarz-weiß gehalten, so dass die Kinder sie selbst bunt anmalen und weiterentwickeln können.

Leseprobe mit Illustrationen zu ‚Die Kröte Schild‘

Ich danke Dir für unser Gespräch!

  • Auf der Website der Autorin, können Sie weiteren Lesungen zuhören oder sich eine Übersicht der Publikationen verschaffen. Hier im Blog finden Sie mit dem folgenden Link noch weitere Gedichte von Ingritt Sachse.
  • Die Quelle zum Zitat von Arne Rautenberg: „Apfel Apfel Apfel Apfel. Konkrete Poesie für Kinder und Jugendliche – eine Spurensuche“. In: Buch & Maus 3/17, Schweizerisches Institut für Kinder – und Jugendmedien Zürich. Der Artikel ist auch  hier zu lesen.