Das Spiel im Februar – Ingritt Sachse stellt mit „der letzte mensch“ das neue Monatsgedicht

Kategorien: Projekt Monatsgedichte — Tags: — Michaela Didyk

Paul Klee hat beim neuen Monatsgedicht seine Hand mit im Spiel. Seine Zeichnung Lied des Spottvogels inspirierte Ingritt Sachse zu ihren Versen, mit denen sie die Februar-Runde gewann. Herzlichen Glückwunsch!

der letzte mensch

…………….zu paul klee: lied des spottvogels

in seinen händen hält
als machtsymbol das
glockenspiel er spinnt
stahlfäden sich zu harten
hirngespinnsten die er für
adlerschwingen hält und
reist im goldnen glanz auf
breiten schwingen durchs
adlerflügeltor zur
hohen wacht. nun
regnets steine auf ihn
erde. der graue große vogel kreischt
zum mond zur nacht
und lacht

Ingritt Sachse/ © Athena Verlag

Die Jurorin für Februar war Annette Stroux, selbst Lyrik schreibend, mit der sie ihre Theaterarbeit begleitet. Nach ihren Stationen als Theaterregisseurin in München, Hamburg, Berlin, Glasgow und Edinburgh  realisiert Annette Stroux seit 1998 Theater– und Filmprojekte mit Kindern und Jugendlichen, darunter auch Figurentheater. Der Schwerpunkt ist das Verfassen der jeweiligen Stücke und Textvorlagen. In Annette Stroux‘ Urteil zum neuen Monatsgedicht wird ihr szenischer Blick deutlich:

Das Gedicht „der letzte mensch“ ist ein überraschender und eigenständiger Kommentar zu Paul Klees Bild „Lied des Spottvogels“ und zum Thema „Spiel“ überhaupt.
Während das Bild von Paul Klee die Konkurrenz von Mensch und Vogel bei der Klangerzeugung sowie die Überlegenheit des Vogels zu beschreiben scheint, entwirft die Autorin des Gedichts in drei sehr verknappten Momenten das Szenario einer Endwelt.

Es ist wie eine kleine dramatische Skizze:

Das Glockenspiel in der Hand des letzten Menschen ist kein Musikinstrument. Er nutzt es nicht zum Spielen, sondern nur als Vehikel für Macht- und Größenphantasien.
Er sieht sich selbst als Adler im Glanze und in luftiger Höhe während doch letzten Endes nur Steine und Erde auf ihn regnen und ein unansehnlich grauer Vogel ihn unbarmherzig auslacht.

Das Lachen und Kreischen des Spottvogels gibt dem gesamten Gedicht im Abschluss Komik.

Die Sprache ist spannend und verdichtet.  Mit wenigen Worten wird eine außergewöhnliche Bildlichkeit aufgebaut, die drei szenischen Momente sind klar durch einzelne sparsam gesetzte Adjektive voneinander abgegrenzt.  Auch im Sprechrhythmus scheint sich das Phantasieren, das Abstürzen sowie das Kreischen des Spottvogels widerzuspiegeln.

Wenn am Ende Lachen bleibt, ist das doch eine tröstliche Perspektive! Deshalb wähle ich „der letzte mensch“ zum Monatsgedicht.

Zur Vita Ingritt Sachses ist hier im Blog schon einiges gesagt :-)
Ihre regelmäßigen Lesungen führen sie immer wieder nach Köln, aber auch nach Berlin und Wien. Dass die Monatsgedichte auch neue Verbindungen schaffen, zeigt ihr letzter Leseauftritt, den sie u.a. zusammen mit Monatsgedicht-Gewinnerin Carla Capellmann veranstaltete. Ein kurzes Profil nochmals angefügt:

Ingritt Sachse (*1946 in Bremen) lebt und arbeitet als Psychotherapeutin in freier Praxis in Bonn.
1999 Veröffentlichung von Prosatexten; seit 2003 Lyrikpublikationen in verschiedenen Anthologien und Jahrbüchern. Ingritt Sachses erster Lyrikband in schattengängen streut licht erschien 2011 im Athena Verlag. Eine Rezension lesen Sie auch in der Literaturzeitschrift Am Erker.
Im vergangenen Oktober war die Autorin zudem beim Literaturwettbewerb in Bonn-Bad Godesberg in der Endrunde und erhielt bei der Abschlusslesung der sieben ausgewählten Kandidat/innen vom Publikum den dritten Preis zugesprochen.
Der Weg zur Website Ingritt Sachses

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